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Coaching + Beratung
Journal 01

Coaching + Beratung
Journal » 01 | August 2017
Autor » Jürgen Schmidt

 

Schleifen sind Bewegungsimpulse –
über Drehmomente in Coachingprozessen

Systemisch gesehen gibt es keinen Stillstand. Auch wenn man als Coach in Coaching-Prozessen gelegentlich den Eindruck hat, dass es im Sinne des Klienten* nicht schnell genug in die Richtung einer tragfähigen Lösung geht, schließt sich ein völliger Stillstand im Prinzip aus. Klienten erleben schwierige Phasen in Coachings, wenn sie den Eindruck haben, dass sie immer wieder an Problemen vorbei kommen, die sich gleich oder ähnlich für sie anfühlen. Und dennoch bin ich als Coach in der Lage, grundsätzlich auf kleine – um nicht zu sagen mikroskopisch kleine – Unterschiede und Fortschritte aufmerksam zu machen. Wenn Coach und Klient ihre Zeit und Raum so miteinander organisieren können, dass ein sorgfältiges Hinschauen möglich wird, zeigen sich immer kleine Bewegungsimpulse und aus einer vorherigen Erfahrung von Stillstand wird leichter ein erreichtes Etappenziel. Das Gefühl des Feststeckens kann sich unter günstigen Bedingungen völlig auflösen oder viel von seiner belastenden Wirkung verlieren.

Ein kleiner Einschub direkt an dieser Stelle: EMPLETE selber ist eine Geschichte der sehr kleinen Fortschritte. Sehr lange habe ich die Idee des eigenen Beratungsformats hin und her gewälzt und war mir nicht sicher, ob ich meine langen Jahre in der Beratung noch einmal in dieser eigenen Form ausdefinieren wollte. Zu dieser persönlichen Unentschiedenheit hätte ich über die Zeit selber ein Coaching in Anspruch nehmen können oder sollen. Mit der Zeit hat die dahinter liegende Idee nun doch offenbar an Durchhaltevermögen und Substanz gewonnen und setzt sich nun allmählich in kleinen Schritten um. Zwar noch etwas zögerlich und tastend, aber immerhin. Die Website steht vor der „Fertigstellung“ und ein Beratungsteam formiert sich mit mir hinter der Idee von EMPLETE. Dieser erste Journal-Text, der schon länger im Kopf war, ist geschrieben und gestaltet. Ideen können um so reizvoller sein, wenn sie sich erst nach und nach entfalten.

Für mich fühlt es sich also schlüssig an, die Schriftenreihe, die an dieser Stelle zu den EMPLETE Beratungsthemen entstehen soll, mit einem Plädoyer für die Langsamkeit zu beginnen. Das bin ich mir sozusagen selbst schuldig. In diesem ersten Text soll es um die Achtsamkeit für den Bedarf des Klienten im Prozess und eine maßvolle Temporegelung im Kontext des Coachings gehen.

ZIELGERICHTETE ENTWICKLUNG ZEIGT SICH OFT IN KLEINEN ERGEBNISSEN.

Wenn man ein Ergebnis betrachtet und dies nur um wenige „Millimeter“ von einem vorherigen Resultat abweicht, sieht dies auf den ersten Blick nicht nach einer wahrnehmbaren Veränderung aus. Jedoch kann der Coach auf jede kleinste Unterschiedsbildung aufmerksam machen. Klienten können in eine sogenannte „Problemtrance“ geraten, wenn sie in ihren Beschreibungen immer wieder um ihre Kernthemen kreisen und in ihren Wahrnehmungsschleifen aus eigener Kraft den Ausgang zu vorhandenen Lösungsoptionen nicht mehr finden können. Wir als Menschen sind geneigt, uns dieses Phänomen automatisch als Stillstand zu erklären. Da aber der Klient in der Regel doch nicht auf dem exakt gleichen Punkt zu stehen kommt – sondern ganz knapp daneben, ein winziges Stück weiter vorne oder dahinter bleibt – verlassen wir uns tendenziell zu schnell auf unseren ersten Eindruck, das hätten wir doch vorhin, früher, gestern auch schon alles gehört oder gesehen.

Den Unterschied zwischen einer Fortschrittsvermutung oder einer Stillstandsannahme konstruieren wir aus unseren Erfahrungshintergründen. Und laufen dabei Gefahr, unsere eigenen Erfahrungen über die Fremderfahrungen zu legen und diese mit unserer eigenen Bedeutungsgebung aufzuladen. Wir versäumen uns immer wieder klar zu machen, dass diese nicht deckungsgleich sein können. Nehmen wir die eigene Zielorientierung als persönliche Stärke wahr, bewerten wir in der Regel um so leichter, ob die vom Klienten entwickelte Lösung für ihn zieldienlich sein könnte oder nicht. Diese Verallgemeinerung, hinter der sich lediglich eine persönliche Perspektive verbirgt, nützt weder Coach noch Klient. Stattdessen sollte der Klient über unterschiedsbildende Fragen dazu angeleitet werden, die eigenen Potenziale wieder neu zu entdecken und seine zementierten Glaubenssätze sanft aber beharrlich in Bewegung zu bringen. Dann lässt sich in der Folge der vorherrschende Eindruck seines Stillstands möglicherweise erfolgreicher bearbeiten.

DER KLIENT PROFITIERT, WENN ER SEIN EIGENES TEMPO WERTSCHÄTZEN LERNT.

Wann geht denn nun etwas überhaupt schnell oder langsam? Im Zusammenhang mit Work-Life-Balance, Burn-Out, Stressbewältigung und dem Umgang mit Veränderungen wird heutzutage eher mit dem Begriff der „Entschleunigung”gearbeitet. Das Bewusstsein für einen konstruktiven Umgang mit der Geschwindigkeit, die uns im Alltag begegnet, verbindet sich mit dem Wunsch nach einer ausbalancierten Lebensführung. Oder anders gesagt: Das Interesse an der konstruktiven Langsamkeit nimmt aktuell zu und greift in alle Bereiche des beruflichen und privaten Lebens ein.

Dennoch wünschen sich Klienten, die mit einem starken Veränderungsanliegen und entsprechendem Verantwortungsbewusstsein ins Coaching kommen, in der Regel schnelle und deutlich spürbare Fortschritte. Besonders Führungskräfte, die gewohnheitsmäßig Management-Prozesse steuern und in ihrem Verantwortungsbereich durch persönliche Leistungen überzeugen, zeigen im Coaching mitunter Ausprägungen eines starken Handlungs- und Erfolgsdrucks. Dann dient die erlebte Grundgeschwindigkeit als Erfolgsfaktor und Entscheidungen werden tendenziell schnell und intuitiv getroffen, was grundsätzlich nicht verkehrt sein muss.

Es ist gut zu verstehen, dass ein erfolgsrelevantes Alltagsverhalten in den ungewohnten Coaching-Kontext überführt werden soll. Aber erst wenn die Führungskraft erkennen kann, dass ihr innerer Druck nicht per se lösungsförderlich ist, kommt der Moment der persönlichen „Entschleunigung“ zum Tragen und kann sowohl zum Thema gemacht werden als auch ein verändertes Verhalten auslösen. Immer sollte der Coach jedoch in der Lage sein, die Dynamik als Wesenszug des Klienten wertzuschätzen und als positiven Anteil hervorzuheben. Dadurch erweitert der Klient seine Fähigkeiten zur Temporegulierung auf entscheidende Weise. Bei Bedarf kann er sich beschleunigen oder verlangsamen und entwickelt ein Gefühl für eine angenehme Reisegeschwindigkeit im Coaching. Gelingt es, auf diese Weise einen guten Rhythmuswechsel zu unterstützen, gestaltet sich der gesamte Coaching-Prozess lebendig und abwechslungsreich, was allen Beteiligten zu Gute kommt.

MANCHE FÜHRUNGSKRAFT BRAUCHT IM COACHING MEHR GEDULD MIT SICH SELBST.

Auch den dynamischsten Führungskräften ist ein Gefühl des eigenen Ausbremsens oder des Ausgebremst-Werdens sicherlich nicht fremd. Kein Team wird im Automatismus und immer ohne Widerspruch jede Grundgeschwindigkeit, die ein Vorgesetzter anschlägt, mitgehen oder aufnehmen wollen. Führungskräfte profitieren, wenn sie diese kontinuierlich auftretenden unvermeidlichen Bremskräfte akzeptieren und als nützliche Lern- und Übungsmöglichkeiten annehmen lernen. Das Drehen von„Ehrenrunden“ kann dann leichter als Ausgangspunkt nachhaltiger Lösungsideen betrachtet werden. Im Coaching braucht es keine zwingende Aneinanderreihung unmittelbarer oder schneller Erfolge – es kommt viel mehr auf die eine wirksame Lösungsidee an: Effektivität statt Effizienz. Durch einen Augenblick mehr Aufmerksamkeit oder Konzentration und ein genaues Hinspüren, wo die wirklich stimmige Entscheidung sitzt, können deutlich nachhaltigere Ergebnisse erzielt werden.

DAS MODELL DER SYSTEMISCHEN SCHLEIFE ZEIGT DEN UNTERSCHIED.

Coaches können beispielsweise gut über das Modell der systemischen Schleife ihre eigene Geschwindigkeit und auch die des Klienten regulieren. In dieses Modell ist der Moment eines eher kurzen, dafür aber sehr bewussten Innehaltens sozusagen „eingebaut“. Die Schleife führt nicht einfach nur linear nach vorne, sondern zeigt sich als zirkulär verlaufender Einordnungs- und Bewertungsprozess.

Erst nach einer Überprüfung durch Hypothesenbildung bewegt sich die Arbeitsrichtung wieder weiter und nimmt gegebenenfalls die nächste Schleife auf, die weiter zur Lösung führen kann. Es kann durchaus sinnvoll sein, dieses Modell im Prozess so transparent zu machen, dass der Klient die Vorgehensweise sehr genau nachvollziehen und sich dann meistens sehr gut einlassen kann. Wie ich bereits mehrfach erlebt habe, lernen Klienten schnell, sich mit ihren eigenen Hypothesen und Lösungsideen an diesem Basismodell der systemischen Arbeit zu orientieren und dieses auch für ihre eigenen weiterführenden Fragestellungen zu nutzen. Nicht zuletzt illustriert es einen wesentlichen Eckpfeiler des systemischen Haltung. Der Klient erkennt spätestens durch das Modell, dass es im Coaching mehr noch auf das Fragen ankommt als auf schnelle Antworten.

Die 4 Phasen der Systemischen Schleife:

Die systemische Schleife besteht aus 4 Phasen, die aufeinander aufbauen und in denen der Coach sammelt, betrachtet, hypothetisiert und wieder neu interveniert. Mit jeder neuen Schleife wiederholt sich dieser Grundprozess.

1)  Informationen sammeln

Phase 1 dient zur Sammlung von Informationen zu Situation, Auftrag, Umfeld, bisherigen Lösungsideen und so weiter. Dazu zählt auch das Feedback des Klienten zu bereits durchgeführten Interventionen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen.

2)  Hypothesen bilden

Der Coach bildet durch Beobachtungen und Interpretationen fortlaufend Hypothesen zur Situation des Klienten und zum Beratungsprozess. Hypothesen helfen bei der Einschätzung dessen, welche Fragestellungen den Klienten im Sinne seiner Problemlösung weiterführen können.

3)  Fragen aus Hypothesen ableiten

Hypothesen bilden das Hintergrundgerüst für Fragen, die den Klienten zur Reflexion einladen oder ihn Handlungsalternativen entwickeln lassen, mit dem Ziel, ihn seiner Lösung näher zu bringen. Lösungsansätze werden gegebenenfalls in einem weiteren Schleifendurchlauf auf ihre Relevanz untersucht und können noch durch weitere Optionen ergänzt werden.

4)  Interventionen anbieten

Interventionen zielen mit einer für die Situation, die Person und den Beratungskontext zugeschnittenen „angemessenen Ungewöhnlichkeit“ darauf ab, z. B. einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Dazu nimmt der Klient beispielsweise verschiedene Positionen seines Umfeldes ein und beschreibt hypothetisch seine Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Ein vielfältiger Methodeneinsatz begünstigt das erlebnisorientierte Lernen in dieser Phase.

 

 

DIE LÖSUNGSVERSUCHE DER VERGANGENHEIT HABEN SO GUT WIE NIE FUNKTIONIERT.

Klienten verbinden ihre bisherigen Lösungsversuche häufig mit Erfahrungen des persönlichen Scheiterns. Dieser Umstand ist ganz natürlich. Wäre dem nicht so, hätte der Klient aus seiner Sicht vielleicht gar kein Coaching „nötig“ und käme nicht in die Beratungssituation – er hätte sein Problem bereits in der Vergangenheit aus eigener Kraft lösen können. Häufig erhoffen sich Klienten aber, durch das Coaching schlüssige Erklärungsmodelle für die unbewältigten Missstände der Vergangenheit zu finden. Sie finden es gelegentlich schwer, das Alte abzustreifen und ihre Energien für das Neue und vor ihnen Liegende aufzuwenden.

Wenn wir negative Erfahrungen gemacht haben, schürt dies unser Misstrauen und wir werden alle neu entwickelten Lösungen blitzschnell (und daher oft zu schnell) nach „Passt – Passt nicht“ oder „Hilft – Hilft nicht“-Kriterien durchsuchen und bewerten, über unwillkürliche, aber sehr wirksame Bewertungsmuster. Holt man diese ins Bewusstsein, indem man mit ihnen die systemische Schleife durchläuft, erscheinen manche dieser Polaritäten in neuem Licht und können erfolgreich aufgebrochen werden. Dabei hilft ein einladendes Hinterfragen aller bereits gefassten Vermutungen zur Passbarkeit und zur Tragfähigkeit der angedachten Lösung.

LÖSUNGEN FINDEN SICH IN NEUEN BEWERTUNGEN FÜR ALTBEKANNTE SITUATIONEN.

Durch ein gezieltes „Um-Interpretieren“ oder Reframing der Sachverhalte kann der Klient unterschiedsbildende Ergebnisse erzielen, die er bisher eher negativ oder problembeladen eingeschätzt hat. Kann sich der Coach mit dem Klienten darauf verständigen, dass Stillstand als „Zustand per se nicht existiert“ und folglich auch nicht beiderseitig akzeptiert werden muss, hat er eine gute Arbeitsbasis, um wirksame Musterunterbrechungen herbeiführen zu können. Der Klient mag zwar seufzen, wird dann seine „Stillstandsposition“ aber vielleicht doch aufgeben und sich auf die Suche nach seinen „Mikro-Fortschritten“ begeben. Der Coach kann dann anleiten, diese in bestimmten Kontexten als bedeutsam für eine größere Veränderung wahrzunehmen. Ein fest gefahrenes Coaching kommt wieder in freieres Fahrwasser.

Mit Folgefragen in der Art von: „Wenn sich eine Situation wie Stillstand anfühlt und dennoch eigentlich kein Stillstand sein kann, woran würden Sie dann merken, dass doch eine kleine Bewegung in welche Richtung auch immer stattgefunden hat? Woran würden Sie festmachen, dass Sie sich nicht doch eine winzige Drehung, einen kleinen Seitenschritt oder eventuell sogar einen kleinen „Rückschritt“ erlaubt haben oder noch erlauben möchten?“ fühlt der Coach den Bewegungsimpulsen des Klienten nach. Der angenommene Stillstand wird über derartige Vertiefungsfragen zu einer Abfolge kleiner, fast unsichtbarer Schritte, die man sich im weiteren Verlauf genau beschreiben lassen kann. Dadurch wird das Bewusstsein für eine maßvolle Veränderungsdynamik unterstützt, die im Kleinen wirkt, aber unter Umständen große Wirkung zeigt.

DAS BILD VOM „KREISLAUF“ ERZEUGT DIE EMOTIONEN IM KLIENTEN.

Klienten benutzen gerne Bilder vom „Kreislaufen“ und assoziieren sie negativ und ausweglos: „Ich bin im Hamsterrad“. Hier steht die Metapher des Rades als Synonym für die empfundene Sinnlosigkeit eines täglichen Automatismus, dem man sich gewissermaßen ausgeliefert fühlt und an dem man „nichts ändern kann“. Viele Arbeitnehmer fühlen sich von der Kombination aus sich kontinuierlich steigender Komplexität und Schnelligkeit schlichtweg überfordert und erleben sich nicht mehr in einer Position, die ihnen das Steuern der eigenen Handlungen oder Entscheidungen ermöglicht. Stattdessen wähnen sie ausschließlich von außen wirkende Kräfte am Werk.

Erst wenn der Eindruck der eigenen Selbstwirksamkeit wieder zu greifen beginnt, lässt sich auch die Eigenverantwortlichkeit des Klienten erfolgreich adressieren. Das Sinnbild eines großen Räderwerks, das – wie das Titelbild es zeigt – gewissermaßen ineinander greift und in miteinander verbundenen Schleifen den inneren Motor am Laufen hält, möchte ich an dieser Stelle als eine möglicherweise attraktivere Metapher gegen das Hamsterrad stellen. Ist jener Motor genügend geölt, ausreichend gewartet und laufruhig, weist er eine höhere Lebensdauer auf und kann bei Bedarf, also beispielsweise bei Überholvorgängen, auch mal bewusst und zielgerichtet Tempo aufnehmen.

COACHING KANN UMWEGE REIZVOLL ERSCHEINEN LASSEN.

„Was ist das Attraktive daran, nicht nur zu schnellen Lösungen zu kommen? Woran würde Ihr Umfeld merken, dass Sie sich mit dieser Entscheidung wirklich sorgfältig auseinander gesetzt und deshalb ein klein wenig mehr Zeit gebraucht haben? Woran würden Sie bemerken, dass Ihre Lieblingslösung Zeit zur Entfaltung braucht?“ Durch Fragen wie diese zieht der Coach die Aufmerksamkeit auf eine angenommene Qualität in der langsam entstehenden Entscheidung. Er macht darüber hinaus auch auf Coaching als „Qualitätszeit“ aufmerksam, die unter entschleunigten Rahmenbedingungen eventuell andere Ergebnisse zutage fördert, als sie im Alltag wahrscheinlich wären. Auch die Wirkung eines „Windens“ vor einer Entscheidung als eine angenommene Drehbewegung kann in Fragen thematisiert werden: „Wo zeigte sich das Im-Kreise-Drehen das erste Mal, wenn Sie Ihr Problem betrachten? Wo zuletzt? Wie haben Sie in der Vergangenheit verhindern können, dass Ihnen schwindlig wurde?“

Folgende weitere Interventionen des Reframings oder Umwidmens können in Betracht kommen:

»   Klient empfindet Stillstand: Wie schon erwähnt besteht der angenommene Stillstand aus lauter kleinen, fast unsichtbaren oder unspürbaren Schritten. Phasen des Anhaltens kann der Coach als bewusstes Pausieren kennzeichnen – damit erhalten Pausen oder Unterbrechungen eine zusätzliche Qualität, auch wenn sie spürbar den Prozess verlangsamen. Pausen können zum Beispiel als bewusste Reflexionszeit ohne Worte genutzt werden. Bewusst herbeigeführte Unterbrechungen können Räume öffnen, in denen neue Lösungsansätze begünstigt werden.

»   Klient reagiert zögerlich: Ein zögerlicher Umgang mit Entscheidungen kann Ausdruck eines noch nicht erfüllten Sicherheitsbedürfnisses des Klienten sein. Er möchte vielleicht keine spontanen oder unüberlegten Impulse setzen. Hier sind Geduld, eine abwartende Haltung und ein wertschätzendes Pacing hilfreich, in dem das Zögern als konstruktiver Anteil gewissermaßen zum Sprechen gebracht wird. Zögerliche Anteile, die sich lautstark melden, dienen zum eigenen Schutz und sind eine Kompetenz.

»   Klient fährt auf Umwegen: Umwege führen auch ans Ziel. Ein Umweg lässt sich als „Genussfahrt“ auslegen. Umwege führen möglicherweise über reizvolle kleine Straßen an lauter interessanten Aussichtspunkten vorbei und durch landschaftlich abwechslungsreiche Gegenden, die man bei der Autobahnfahrt leicht übersehen könnte. Umwege lenken den Blick auf Details, also Ressourcen, die man vielleicht noch mit in den Kofferraum packen müsste. Der Mehraufwand an Zeit kann unter Umständen durch differenzierte Erlebnisse auf Nebenstrecken mehr als kompensiert werden.

»   Klient hat „falsche“ Richtung genommen: Wer behauptet, der einmal eingeschlagene Weg müsse konsequent zu Ende gegangen werden? Es entlastet Klienten ungemein, wenn man ihnen in Gedanken die Möglichkeit einräumt, wieder das Stück zurück zur Wegkreuzung zurück gehen zu können, an der sie sich vermeintlich endgültig für eine bestimmte Richtung entschieden haben. Auf diese Weise wird der Weg zu einer Teststrecke, die sie wieder unvoreingenommener erkunden können. Vielleicht kommen sie an der ersten Wegbiegung zu weiteren Erkenntnissen, die sie entweder noch entschiedener voran schreiten lassen oder doch ein Umkehren nahe legen, zum Beispiel um noch etwas an der Vorbereitung zu verändern.

SCHLEIFEN MACHEN AUS LÖSUNGEN BESONDERE LÖSUNGEN.

Wortwörtlich genommen sind Schleifen Verzierungen, die Dinge schöner gestalten und besonders auszeichnen. Auch diese Metapher lässt sich für das Coaching gut nutzen. In der Art von: „Um welche Ihrer Lösungen würden Sie am liebsten eine Schleife ziehen, weil sie sich für Sie besonders wertvoll anfühlt? Was wäre für Sie ein gegebener Anlass, dieses schöne Geschenk mit der Schleife entgegen zu nehmen?” können diese oder ähnliche Fragen nach den besonderen Schleifen die erarbeiteten Lösungsansätze wertvoller darstellen als sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mögen.

Ebenfalls gute Erfahrungen habe ich damit gemacht – auch in der persönlichen Anwendung – wenn ich an einem Entscheidungspunkt einen symbolischen Drehmoment herbeiführe und diesen noch einmal für einen Perspektivwechsel nutze. Dies kann zum Beispiel während einer Arbeit im Raum oder an einem Ort in der Natur mit vergleichsweise freier Sicht geschehen. So kann man kurz vor einer eventuell bindenden oder entscheidenden Lösungsidee den Klienten noch einmal eine Drehung um 90, 180 oder 270 Grad auf einem Bodenankerpunkt vornehmen lassen. Im bewussten Blick nach vorne, zu den Seiten oder nach hinten auf die zurückgelegte Wegstrecke zeigen sich fast immer wichtige Zusatzinformationen. Wofür mag ein Blick in ein Unterholz oder Dickicht stehen, wenn man auf die linke Seite blickt? Oder wenn man stattdessen den Blick zur rechten Seite nimmt, der auf eine weite Rasenfläche hinausführt? Für Lösungen, die unter Umständen noch Ressourcen benötigen oder in denen sich versteckte Stolpersteine finden lassen, stellen Körpererfahrungen dieser Art ein noch höheres Maß an Sicherheit und Stimmigkeit zur Verfügung.

Vielleicht findet der Klient sogar eine besonders attraktive „Winkeleinstellung“ zwischen 0 und 360 Grad, er bevorzugt einnehmen und für seine Lösung nutzen möchte, weil genau auf diesem Punkt die Perspektive für ihn am besten wirkt. Dafür braucht er sich nur – ganz langsam – um die eigene Achse zu drehen, sich und seine Umgebung zu beobachten und sich festzulegen, welche Schlussposition er zu seiner Lösung am stimmigsten erlebt. Und diese Position darf er dann noch einmal im Detail beschreiben.

EINE UNZUREICHENDE AUFTRAGSKLÄRUNG TRÄGT ZUM ERFOLGSDRUCK BEI.

Manchmal kommen Klienten mit dem Anliegen ins Coaching, es müsse sich praktisch „alles“ und dies auch noch schnell verändern. In dieser Situation kann nur eine genaue Auftragsklärung helfen, um den Begriff „alles“ relativieren zu können und Raum für eine Prioritätensetzung zu schaffen. Es ist sicher nicht ganz einfach, ein Bewusstsein für die Größe, das Maß und die Relevanz der Zielvorstellung im Klienten zu erzeugen. Zu steigendem Erfolgsdruck trägt ebenfalls die klassische Dreiecksbeauftragung durch Dritte bei (direkte Vorgesetzte, auch in Kombination mit HR). Geht man von dieser Beauftragungssituation aus, findet man eine Fülle unterschiedlicher Interessen und Erwartungshaltungen vor und das Coaching „hat dann auch zu funktionieren.”

Sollte sich der Klient dann trotz Druck aus seiner Umgebung immer noch nicht wunschgemäß entwickeln, werden häufig Zeit und Aufwand gescheut, die tatsächlichen Befindlichkeiten oder Hintergründe des Klienten zu erspüren. Lieber lässt man einen zweiten oder dritten Coach arbeiten und hofft darauf, dass eine Veränderung durchs bloße Tun oder den Vorgang des Auswechselnd eintritt.

Natürlich wäre es naiv anzunehmen, Coaching fände im luftleeren Raum statt. Es gibt immer zahlreiche Einflussfaktoren, die entweder offiziell installiert oder im Hintergrund wirksam sind und den Coachingerfolg in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Entscheidend ist aber, das Bewusstsein für die Wechselwirkung dieser Faktoren bei allen Beteiligten hoch zu halten. Die möglichen Widerstände, die ein Klient gegen das Coaching aufbaut, können sehr leicht als Bockigkeit gelesen werden oder schlimmstenfalls als Bestätigung dessen, was man sowieso über die Person zu wissen glaubt. Dahinter ist dies aber nur eine von vielen möglichen Lesarten. Des öfteren stellt man fest, dass Klienten, die über eine Drittbeauftragung ins Coaching kommen, viel zu wenig Konkretes über die unterschiedlichen Erwartungshaltungen mitteilen können, die Vorgesetzte oder HR als „Entsender” im Vorfeld formuliert haben könnten. Offenbar werden zu selten ausreichende interne Vorbereitungsgespräche geführt, die als gemeinsame Auftragsklärung die Erwartungen aller Beteiligten zum Thema machen. Dies wäre jedoch nicht zuletzt unter dem Aspekt, die Anforderungen an eine „Mindestgeschwindigkeit“ der Veränderung zeitnah auf den Tisch zu bringen und darüber gegebenenfalls eine Einigung zu erzielen, sehr sinnvoll.

IM IDEALFALL SIND HR UND VORGESETZTE KOMPLEMENTÄRE PARTNER IM COACHING-PROZESS.

Würde man sich eine Ideal-Rolle von HR und Vorgesetzten in diesem Zusammenhang wünschen dürfen, ist es die von komplementär denkenden Partnern im Prozess. HR hat – vielleicht mit der Ausnahme von HR Business Partnern, keine unmittelbare Ergebnisverantwortung in der Linie des Vorgesetzten zu vertreten. Deshalb kann HR in der Regel Ergebnisse „neutraler“ als Vorgesetzte verhandeln, auch wenn sie selbstverständlich die Interessen ihrer Gesamtorganisation vertreten möchten. Dies möchte der Klient in der Regel aber auch. Klienten wiederum sollten bei aller gewünschten Transparenz nicht den Eindruck gewinnen, dass Hintergrundabsprachen zwischen HR und Coach laufen, die das im Coaching entstandene Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Klient gefährden. Wenn alle Rollen klar verteilt und angenommen werden, kann HR im Idealfall wunderbar unterstützen. Eine positive Haltung zu Coaching durch den Entsender wirkt beruhigend auf die spezifische und eventuell konfliktäre Situation ein, die Ergebniserwartung in realistischen Grenzen und bringt doch gleichzeitig Coaching als das geeignete Entwicklungsinstrument immer wieder ins Spiel. Da immer mehr Personalverantwortliche selber in internen Coaching-Rollen tätig sind und sich dadurch das Bewusstsein für die Charakteristiken des Coachings noch stärker schärft, profitiert auch die Zusammenarbeit zwischen externem Coach und HR von dieser Entwicklung. Das ist jedenfalls meine Beobachtung.

Desgleichen gilt für Vorgesetzte, die sich immer stärker mit der Rolle auseinander setzen müssen, als die „eigentlich“ Verantwortlichen für die Personalentwicklung ihrer Mitarbeiter in Erscheinung zu treten und dazu ein passendes Rollenverständnis zu entwickeln. Aber das ist ein eigenes Thema und daher Gegenstand des nächsten Journals.

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